Freitag, 29. Juni 2012

Deutschland – die industrielle Agrarweltmacht

Es ist doch alles eigentlich ganz einfach: "Die Landwirtschaft hat die Aufgabe, die Stoffe und Kräfte des Bodens und der atmosphärischen Luft zu benutzen, ihre meist unorganischen Formen in organische zu verwandeln, Pflanzen und Tiere zu erzeugen, welche zur Befriedigung mannigfaltiger menschlicher Bedürfnisse dienen." So lautet der erste Satz von Johann Adam Schlipfs populärem "Handbuch der Landwirtschaft", 13. Auflage, 1898. Man muss sich den Satz als eherne Wahrheit in Frakturschrift gesetzt vorstellen. Ohne Landwirtschaft ist alles nichts. Sie ist eine Grundbedingung menschlicher Existenz. Ihr nächster Nachbar im biologischen Wurzelwerk der Zivilisation ist die Sexualität. Wie diese sichert sie das physische Überleben der Art, wie sie ist sie ebenso selbstverständlich wie Konflikt beladen, Quelle von Genuss und Lebensglück, aber auch gefährlich nahe an Gewalt, Ausbeutung und Krankheit, ein Sakrament und manchmal ein Verbrechen, eine Sache intimer Körperlichkeit und ein öffentliches Faszinosum erster Güte.

Der neueste Dioxinskandal, der sich in eine lange Kette ähnlicher Lebensmittelskandale einreiht, rückt wieder einmal die Nachtseite der Landwirtschaft ins öffentliche Bewusstsein, das sich gerade darauf eingestellt hatte, sich ganz und gar auf ihre genussvolle Lichtseite einzulassen und sie in Kochshows zu feiern. Jetzt vergeht dem Verbraucher die Freude am Frühstücksei. Die Medien überbieten sich im Verdammen der industriellen Agrarproduktion. Die Bauern und ihre Interessenvertreter kämpfen verzweifelt darum, den Vertrauensverlust einzudämmen. Die Marktanteile des Bio-Sektors werden noch ein Stückchen wachsen. Aber wenn die Wellen der Erregung sich gelegt haben, wird man ernüchtert feststellen, dass, wie beim Sex, der Rückweg in den Stand der Unschuld versperrt und das Wort "Agrarwende" leichter ausgesprochen als wirtschaftlich, politisch und kulturell ausbuchstabiert ist.

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